Soft Skills: Das Johari Fenster als Informationsquelle
- OER Staff
- Apr 4, 2022
- 8 min read

So ziemlich jeder hat wohl schonmal den Begriff “soft skills” irgendwo gelesen oder gehört. Unweigerlich hat auch jeder eine Vorstellung, was darunter zu verstehen ist.
Soft skills sind nicht-technische Fähigkeiten, die beeinflussen, wie Menschen arbeiten - also der Umgang mit Kollegen, wie wir Herausforderungen und Probleme lösen und wir wir generell unseren Arbeitstag organisieren. Mit anderen Worten, bei soft skills geht es in der Regel um Persönlichkeitsmerkmale, Attribute und Gewohnheiten, die uns helfen mit anderen gut zusammenzuarbeiten, uns an unserem Arbeitsplatz zurechtzufinden, und dort auch gute Leistungen zu erbringen.
Die meisten Arbeitgeber legen heutzutage sehr viel Wert auf soft skills da diese mit verschiedenen wichtigen Fähigkeiten gleichgesetzt werden: Menschen mit staken soft skills können sich flexibel an verschiedene Situation anpassen, sie können besser mit unerwarteten Hürden umgehen und demonstrieren generell eine höhere Wahrscheinlichkeit innovative und kreative Lösungen zu finden.
Wohingegen hard-skills (also technische Fähigkeiten und Kompetenzen wie Coding, Photoshop, die Bedienung von Maschinen und Geräten, usw. ) als lernbar angesehen werden, sieht die Sache bei soft skills schon anders aus: Hier ist die vorherrschende Meinung, dass diese Fähigkeiten eher inhärent sind - also der Persönlichkeit eines Menschen innewohnen. Mit zunehmendem Alter und der daraus resultierenden Erfahrung entwickeln sich diese zwischenmenschlichen Fähigkeiten immer weiter.
Das bedeutet gleichzeitig auch, dass soft skills übertragbar sind - natürlich nicht zwischen Mitarbeitenden (obwohl es offensichtlich ist, dass positives Verhalten auf andere “abfärbt”), sondern auf andere Bereiche und Situationen in denen ein Mitarbeitender agiert. Wer, zum Beispiel, gut und klar kommunizieren kann, der kann dies höchst wahrscheinlich in vielen oder sogar in allen Situationen.
Ein Problem mit soft skills ist natürlich, dass sie sich nicht wirklich quantifizieren lassen. Welchen Wert ordnen wir hervorragenden Kommunikationsfähigkeiten zu? Wie setzt sich so ein Wert zusammen? Auf welcher Skale existiert der Wert? Wie kommt die Skala zusammen?
Wie wir wissen ist Quantifizierung jedoch einer der Haupttreiber der meisten wirtschaftlichen Unternehmen. Daraus ergibt sich dann das Problem, dass soft skills schwer fassbar sind. Eine Möglichkeit, die soft skills eines (potentiellen) Arbeitnehmers zu verstehen, ist durch Gespräche/Interviews zwischen Bewerbern und erfahrenen Talent Managern und Rekruitern. Dazu bedarf es nicht unbedingt Training, sondern eher Erfahrung und Menschenkenntnis.
Alle Menschen sind ohne größere Probleme in der Lage andere Menschen einzuschätzen. Wir müssen dies nicht explizit tun in dem wir Mechanismen oder Tools anwenden oder systematisch vorgehen. Es liegt in unserer Natur, recht schnell einschätzen zu können, ob unser Gegenüber die richtigen soft skills besitzt, die wir in unserem Leben oder unserer Arbeit benötigen und wollen. Die meisten Menschen wollen niemanden in ihrem Leben, mit dem sie überhaupt nicht klarkommen. Die meisten Firmen wollen dies ebenfalls nicht. Ein neues Teammitglied mit dem niemand im Team zusammenarbeiten kann und will, kann eventuell mehr Probleme aufwerfen als deren alternative Sichtweise eine Bereicherung für das Team und die Organisation darstellt. Mitarbeitenden, welche die bevorzugten soft skills nicht oder nur unzureichend verkörpern haben ausserdem eine unverhältnismässig höhere Wahrscheinlichkeit, in ihrer Arbeit zu scheitern! Susan Collins, Director of Talent Acquisition and Employer Branding für Talbots (eine U.S Amerikanische Modekette) teilte auf der 2020 SHRM Talent Conference entsprechende Erfahrungen aus einer Umfrage bezüglich wichtiger soft skills: 97% aller Arbeitgeber die an der Umfrage teilgenommen hatten sagten aus, dass ihnen soft skills entweder genauso wichtig - oder sogar wichtiger - seien, als “hard skills”. Wenn neue Arbeitnehmer den Firmen beitreten, so der Bericht, so scheitern 46% davon innerhalb der ersten 18 Monate. 89% davon scheitern weil sie die benötigten soft skills nicht haben - es mangelt ihnen an Professionalität oder der einfachen Fähigkeit mit anderen Mitarbeitenden auszukommen. (1) Mitarbeitende, welche die entsprechenden soft skills mitbringen, haben also meistens mehr Erfolg auf der Arbeit.
Eine andere SHRM Umfrage (2) summiert recht passend, dass Zuverlässigkeit (97%), Integrität (87%), Respekt (84%) und Teamwork (83%) sehr wichtig oder ausgesprochen wichtig in der Einschätzung eines Bewerbers durch Talent Manager und Rekrutier sind. Die Corona Pandemie hat den Fokus auf soft skills noch einmal nachhaltig beeinflusst. Es ist wichtiger als je zuvor, dass Mitarbeitenden eine starke Arbeitsethik besitzen, hervorragend kommunizieren können, sich in Teams pudelwohl fühlen - auch wenn sie remote stattfinden, Eigenmotivation an den Tag legen und flexibel auf die verschiedensten Situationen reagieren können. Wie schon oben beschrieben, sind Interviews und Gespräche die einfachsten und wohl auch gebräuchlichsten Mechanismen, die uns ermöglichen die soft skills von anderen einzuschätzen.
Das Fenster der Eigen- und Fremdwahrnehmung:
In einem vorhergehendem Post wurde bereits auf die Gruppendynamik als Basis für Organisationsentwicklung eingegangen ( https://www.oe-reflektor.de/post/gruppendynamik-phasen-der-gruppenbildung ). Das Johari Fenster, welches wir hier beschreiben, ist ein weiteres Tool aus der Gruppendynamik, das es uns ermöglicht, bewusste und unbewusste Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale zwischen uns selbst und anderen oder einer Gruppe besser zu verstehen. Das Modell ist so intuitiv, ausreichend erforscht und respektiert, dass es auch heute noch zum Standardrepertoire in der Gruppendynamik gehört.
Joseph Luft und Harry Ingram (daher auch der Name Jo Harry Fenster!) entwickelten dieses Modell im Jahre 1955. (3) Zweck war es, innerhalb von Gruppen oder Teams Stärken und Schwächen zu erkennen und die Verständigung zu verbessern. Wer sich seiner eigenen Gewohnheiten und Verhaltensmuster bewusst ist, der kann schliesslich auch besser einschätzen, wie er auf andere Menschen wirkt. Mit Hilfe dieses Bewusstseins ist es dann letztendlich auch besser möglich seine eigenen zwischenmenschlichen Beziehungen und andere soft skills zu verbessern.
Prinzipiell muss man sich das Modell von Luft und Ingram tatsächlich wie ein traditionelles Fenster mit vier individuellen Scheiben vorstellen in welchen Fremdwahrnehmungen und Selbstwahrnehmungen grafisch dargestellt werden. Jede der Scheiben - oder Quadranten - steht dabei für einen Parameter der bestimmte Verhaltensweisen beinhaltet deren man sich selbst entweder bewusst ist oder auch nicht, und welche anderen Menschen bewusst sind oder auch nicht.
Die vier Quadranten sind:
Open Area (Öffentlich) - man weiss es selbst und andere wissen es auch.
Hidden Area (Geheim oder auch Fassade) - man weiss es selbst aber andere wissen es nicht.
Blind Spot (Blinder Fleck) - man selbst weiss es nicht aber andere wissen es.
Unknown (Unbekannt) - man selbst weiss es nicht und andere wissen es auch nicht.

Jeder dieser Quadranten kann persönliche Informationen, Gefühle, und Motivationen beinhalten und erfasst zusätzlich, ob man sich dieser Informationen selbst bewusst ist oder nicht, und ob diese Information anderen bewusst ist oder nicht. Zwei dieser Quadranten repräsentieren also die Selbstwahrnehmung (ich selbst weiss es/weiss es nicht) und die verbleibenden Quadranten repräsentieren die Fremdwahrnehmung (andere wissen es über mich/wissen es nicht). Die Quadranten sind nicht in Stein gemeißelt - stattdessen kann die Größe der Quadranten durch das Verhalten der Person verändert werden. In der Regel benutzt man eine Reihe von Adjektiven, um die Information in den Quadranten zu benennen. Zum Beispiel: fröhlich, introvertiert, intelligent, sorgsam, umsichtig, tolerant, stolz, entspannt, lustig, vertrauenswürdig, usw.
Open Area (Öffentlich) - auch Arena oder Forum genannt:
Informationen (Gefühle, Einstellungen, Verhaltensmuster, Fähigkeiten, Ansichten) in diesem Quadranten werden sowohl von der Person selbst also auch von anderen wahrgenommen. Man kann sich diesen Quadranten auch als Arena oder Forum vorstellen wo alle Kommunikation stattfindet. Je größer dieses Forum, desto wirksamer und dynamischer ist die Beziehung zwischen der Person und anderen. Die Arena/das Forum kann zum Beispiel durch gezieltes Nachfragen nach Feedback vergrößert werden - vorausgesetzt man hört diesem Feedback auch zu und bemüht sich, es zu verstehen. Da man hierdurch mehr Information über sich selbst lernt, gibt es natürlich auch weniger, dessen man sich nicht bewusst ist. Durch das Vergrößern des Forums wird also automatisch der Blind Spot (Blinde Fleck) verkleinert. Auch ist es möglich die Arena/das Forum zu vergrößern in dem man Informationen mit anderen teilt. Durch dieses Verhalten verkleinert sich der Unknown (Unbekannte) Quadrant.
Blind Spot (Blinder Fleck):
Hier finden wir Informationen die andere zwar über uns haben, die uns aber selbst nicht bewusst sind. Letztendlich sehen Menschen sich selbst häufig anders als sie von Aussenstehenden wahrgenommen werden. Wie schon beim Open Area (Öffentlich) Quadranten erklärt, lässt sich dieser Quadrant durch das Nachfragen nach Feedback verkleinern wodurch Information die anderen Menschen bewusst ist in die offene Arena gebracht werden - und somit Teil der Selbstwahrnehmung werden.
Hidden Area (Geheim oder auch Fassade):
In diesem Quadranten finden wir Informationen die uns zwar selbst bewusst ist, von denen andere aber nichts wissen. Meist handelt es sich hierbei um Information die uns unangenehm ist und die wir gerne von anderen fern halten - also Ängste, Geheimnisse, Gefühle, usw. Im Prinzip alles, was wir als privat ansehen und von dem wir denken, dass es unsere Beziehungen mit anderen beeinflussen würde, wenn diese Personen diese Informationen hätten. Wenn wir diese Informationen mit anderen teilen (zum Beispiel ein Vergehen beichten oder unsere Liebe gestehen), dann verringert sich die Größe dieses Quadranten.
Unknown (Unbekannt):
Wir selbst sind uns der Informationen dieses Quandranten nicht bewusst - und andere sind es auch nicht. Dies kann natürlich so ziemlich alles sein: Gefühle, Talente, Fähigkeiten, usw. Vielleicht haben wir noch nie geklettert und wissen überhaupt nicht, welch begabte Kletterer wir sind. Wir haben noch nie gesungen - und wissen nicht, wie begabt wir sind. Es ist auch möglich, dass wir Information vergessen haben oder sie aufgrund von traumatischen Erfahrungen unterdrücken. Wenn wir diese - uns unbekannte - Informationen entdecken oder von anderen darauf aufmerksam gemacht werden, verringert sich die Größe dieses Quadranten. Das Johari Fenster kann aus verschiedenen Gründen hilfreich sein - besonders wenn es um soft skills geht. Zum Beispiel können wir die Information im öffentlichen Quadranten dafür benutzen um im Gespräch mit anderen herauszufinden, was wir ändern oder verbessern könnten. Denken wir dabei zum Beispiel an Teamarbeit: Das gesamte Team weiss, dass Stefan immer zu spät kommt. Stefan weiss dies natürlich selber. Also ist es recht einfach, diese Problematik anzusprechen und eine Lösung zu finden. Fragt euch selber: Welche Kompetenz könnte ich mit meinem Vorgesetzten ansprechen, deren Erlangen und Vertiefung mich am ehesten in meinem Job weiterbringen würde? Dies geht natürlich andersrum auch: Welche Dinge könnte ein Vorgesetzter ansprechen, um einem Mitarbeiter auf dem Weg zur Beförderung zu helfen? Oder Stefan könnte sich Gedanken machen, was er vielleicht nicht über sich selbst weiss. Wenn er nachfragt - also Feedback bekommen will - dann erfährt er vielleicht, dass er zu viel redet und das Team ständig dominiert - obwohl er selbst eigentlich dachte, dass er respektvoll ist und das Projekt nur vorantreibt. Überlegt, wie ihr am besten nach Feedback von anderen fragen könnt. Welche Information braucht ihr von euren Kollegen, dem Chef, oder eurem Manager? Genauso können wir auch die Information aus dem Geheim Quadrant nutzen: In der Organisationsentwicklung reden wir gerne von einem professionellem Persönlichmachen unserer Arbeitsbeziehungen. Dieser Quadrant kann uns zum Beispiel dabei helfen Informationen zu identifizieren, die uns potenziell weniger unnahbar erscheinen lassen oder die Komplexität unserer Persönlichkeit hervorheben. Natürlich ohne uns in Situationen zu bringen, die wir beim besten Willen nicht wollen! Der Quadrant mit der unbekannten Information ist im Prinzip eine Spielwiese. Hier können wir unser Potenzial entwickeln, neue Dinge entdecken, Herausforderungen annehmen und wachsen. Wie geht man hierbei am besten vor?
1.) Überlege Dir zu allererst, was Du überhaupt erreichen willst! Möchtest Du erfahren, welche Kompetenzen Du weiterentwickeln solltest? Oder möchtest Du zwischenmenschliche Parameter ändern? Welche soft skills sind für Dich oder Deinen Job wichtig?
2.) Fang am besten mit dem Open Area (Öffentlich) Quadranten an! Was sind Deine Stärken? Was sind Deine Schwächen? Was würdest Du mit anderen teilen? Was behältst Du lieber für dich? Sei bei der Auflistung Deiner Gedanken offen und ehrlich und schreibe auf, was Dir durch den Kopf geht!
3.) Frage andere nach Feedback über Dich selbst - aber nur, wenn Du wirklich daran interessiert bist diese Information auch zu bekommen und auch darüber nachzudenken. Dies kann mit nur einer Person geschehen oder aber auch in einer Gruppe - wenn das mit Dir okay ist. Natürlich musst Du Dir nicht alles zu Herzen nehmen und Du solltest wohl auch nicht das gesamte Feedback als Ausgangspunkt für eine grundlegende Veränderung interpretieren. Bedenke immer, dass die Fähigkeit hilfreiches Feedback zu geben von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt ist - manche könne es besser als andere! Denke auch daran der anderen Person für das Feedback zu danken.
Was sollte man sonst noch wissen?
1.) Informationen die Du teilst können immer in unerwarteten Lebensbereichen wieder auftauchen! Überlege Dir also gut, welche Informationen Du mit anderen teilen möchtest. Wir alle haben Grenzen die wir nicht überschreiten wollen. Überlege Dir, wo Deine Grenzen sind!
2.) Denke daran, in welchem kulturellen Kontext Du agierst - nicht alle Menschen und Kulturen gehen mit Feedback und persönlichen Informationen offen um. In manchen Situationen könntest Du die Gefühle anderer verletzen. 3.) Man muss nicht alles sagen, was man denkt! ____________________
Bibliografie und Links:
(1) https://www.shrm.org/resourcesandtools/hr-topics/employee-relations/humanity-into-hr/pages/covid-19-soft-skills-at-work.aspx (2) https://www.shrm.org/hr-today/trends-and-forecasting/research-and-surveys/PublishingImages/Pages/Entry-Level-Applicant-Job-Skills-Survey-/Entry-Level%20Applicant%20Job%20Skills%20Survey.pdf
(3) Joseph Luft, Harry Ingham: The Johari window, a graphic model of interpersonal awareness. In: Proceedings of the western training laboratory in group development, Los Angeles: UCLA, 1955.
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