Gruppendynamik: Phasen der Gruppenbildung
- M. Franz
- Apr 1, 2022
- 6 min read
Updated: Apr 11, 2022

Früher oder später findet sich wohl jeder mal in einer Arbeitsgruppe oder einem Team wieder. Trifft sich ein Team regelmäßig, so durchläuft es eine Reihe von Entwicklungsphasen die, wenn alles optimal läuft, dazu führen, dass das Team effektiv and effizient arbeitet. Allerdings ist dies eher ein Wunschdenken als dass es die Realität darstellt. In meiner Karriere habe ich Hunderten von Arbeitsgruppen beigesessen und dabei observiert, wie Gruppenmitglieder sich untereinander verhalten und wie sie die vorgegebene Arbeit verrichten - oder eben auch nicht. Meistens wurde ich natürlich genau zu diesem Zweck in eine Gruppe eingeladen - aber manchmal war ich lediglich ein Gruppenmitglied wie jedes andere. Dabei habe ich mehrere Dinge gelernt: 1.) Ich habe noch nie in einem Team gesessen, in welchem wirklich alles sofort funktioniert hat.
2.) Es gibt keine einzigartigen Teams - aber jedes Team behauptet irgendwann, dass es einzigartig ist.
3.) Der Druck die entsprechende Arbeit zu verrichten wird irgendwann immer als Faktor genannt, warum wichtige Grundvoraussetzung die zu effektiver und effizienter Arbeit führen nicht geschaffen werden.
4.) Gruppenmitgliedschaft macht myopisch. Wer Teil einer Gruppe ist, hat Schwierigkeiten die Dynamik innerhalb der Gruppe objektiv wahrzunehmen.
Da ausgesprochen viel Arbeit in Teams und Arbeitsgruppen verrichtet wird ist es natürlich für jeden Organisationsberater sehr wichtig, mit einem Modell der Gruppenbildung vertraut zu sein. Selbst bei anfänglichen Gesprächen mit Klienten kommt dieses Wissen zum Tragen - vorausgesetzt, wir verhandeln mit einem Team - und kann die zugrundeliegenden Dynamiken innerhalb der entsprechenden Führungsgruppe informieren. Da Organisationskultur maßgeblich von dieser Gruppe beeinflusst wird können wir auch hier schon häufig Artefakte der bestehenden Kultur entdecken, die sich durch die gesamte Abteilung, das gesamte Werk oder sogar durch die gesamte Organisation ziehen können.
Hier also die vier Phasen der Gruppenbildung wie sie Bruce Tuckman im Jahre 1965 ausgeführt hat. In 1977 überarbeite Bruce Tuckman zusammen mit Marry Ann Jensen das Modell da empirische Studien anzeigten, dass es neben den vier ursprünglichen vier Phasen auch noch eine fünfte Phase gibt die mit dem Auflösen der Gruppe zu tun hat. Auch diese Phase werde ich natürlich ansprechen.
Forming:
In der ersten Phase der Gruppenbildung kommen Menschen zusammen, die sich häufig nicht wirklich kennen und die noch nie zusammengearbeitet haben. In dieser Phase geht es für Gruppenmitglieder darum, sich zu orientieren und - zumindest oberflächlich - herauszufinden, wer die anderen Mitglieder sind.
Mitglieder sind häufig unsicher, was die Gruppe überhaupt erreichen soll, wie sie in die Gruppe passen, ob sie sich mit den anderen verstehen werden und wie sie mit den anderen Mitgliedern zusammenarbeiten werden.
Manche Mitglieder haben Bedenken, andere sind neugierig und viele sind auch aufgeregt. In der Regel sind alle Mitglieder freundlich, zuvorkommend, und strahlen eine positive Energie aus. Optimismus durchflutet diese Phase. Gegensätzliche Meinungen werden in dieser Phase gerne “runter geschluckt” um die positive Energie nicht zu stören.
Erfahrungsgemäß gibt es in fast jeder Gruppe Mitglieder die den vorherrschenden Optimismus auch offen kundtun. Man stellt gerne fest, wie super die Gruppe ist, das es keinerlei Probleme geben wird, wie sehr man sich freut, Teil dieser Gruppe zu sein, usw. Ich denke bei diesen Dynamiken immer gerne an Flitterwochen - wo einfach alles super ist!
Gibt es eine offizielle Führungsperson, so wenden sich Mitglieder an diese Person um Orientierung und Informationen zu erhalten. Dies geschieht hauptsächlich um bestehende Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen.
Gruppengespräche drehen sich häufig um den Werdegang der Mitglieder, welche Hobbys und Interessen sie haben, welche besonderen Fähigkeiten sie mitbringen, usw. Man redet gerne über das Ziel der Arbeitsgruppe - was sie erreichen sollen und wollen, diskutiert was man in vorherigen Teams bereits darüber gelernt hat, wie ein Team am besten zusammenarbeitet, und spricht auch häufig den Zeitrahmen für die bevorstehende Arbeit an.
In der Regel dauert diese Phase nicht besonders lang - schliesslich gibt es ja Arbeit, die sich nicht von alleine erledigt!
Storming: Die Flitterwochen sind nun vorbei und man kann die Augen einfach nicht mehr vor der Realität verschließen, dass der neue Partner die Zahnpastatube nicht zuschraubt, das Toilettenpapier falsch herum aufhängt und zu lange duscht. Und so läuft es auch in der Gruppe: Man hat sich aneinander gewöhnt, fühlt sich etwas wohler in der eigenen Haut, und kann auch mal gegensätzliche Meinungen und Ideen vorbringen. Etabliertes Verhalten und Grenzen werden hinterfragt, und Autorität oder auch der Managementansatz von Mitgliedern werden herausgefordert. Während man sich in der Forming Phase noch gefiltert präsentiert hat, so kommen während der Storming Phase die wahren Charakterzüge und Verhaltensmuster zum Vorschein. Häufig ist der erste Stein des Anstoßes, wenn sich die verschiedenen Arbeitsweisen der Mitglieder nicht auf einen Nenner bringen lassen. Man findet es schlecht, wie andere Mitglieder arbeiten, kritisiert deren Ansätze und ist frustriert, dass das Team nicht bereit ist, Dinge anders zu machen. Auch kann der wahre Aufwand der bevorstehenden Arbeit überwältigend sein und bei den Mitgliedern Befürchtungen hervorrufen, wie die Arbeit jemals von der Gruppe bewältigt werden kann. Die daraus resultierenden Unsicherheiten und Querelen führen zu Stress, rufen Bedenken und Ängste hervor und können auch zu offenem Konflikt führen. Obwohl diese Phase sicherlich nicht angenehm ist, so ist sie doch natürlich und auch von äusserster Wichtigkeit. Wenn ein Team versagt, dann geschieht dies meistens in dieser Phase: Entweder kann man die bestehenden Gegensätze nicht überkommen und bleibt ewig in dieser Phase stecken ohne sich jemals wirklich auf die Arbeit konzentrieren zu können, oder aber man ignoriert die Unstimmigkeiten so gut es geht und muss für den Rest des Gruppenlebens immer wieder auf ungelöste Probleme eingehen - was natürlich alles andere als effizient und effektiv ist!
Man sollte die Gruppe darin unterstützen, die bestehenden Problem in dieser Phase zu diskutieren und auch zu lösen. Streitereien die in Schreien, Beschimpfungen, oder Drohungen ausarten gilt es natürlich zu unterbinden. Dies hat in einer Gruppe keinen Platz.
In der Storming Phase greift man gerne Führungspersonen an, fordert deren Autorität heraus und/oder versucht sich aus der Gruppe hervorzuheben. Machtkämpe unter den verschiedenen Mitgliedern sind häufig.
Äusserst beliebt ist es auch, einen Sündenbock zu identifizieren - die Person, die an allem Schuld ist, immer gegen die Gruppenmeinung argumentiert, sich nie fügt, Unfrieden stiftet, usw. Ein Sündenbock erfüllt hierbei eine ganz einfache Funktion, die es den verbleibenden Gruppenmitgliedern erlaubt, sich selbst als unschuldig am momentanen Zustand des Teams zu fühlen. Natürlich ist dies nur ein Versuch mit den negativen Emotionen, Ängsten, und Bedenken besser klar zu kommen.
Letztendlich geht es in dieser Phase immer um Aufgaben- und Rollenkonflikte.
Norming:
Nach der turbulenten Storming Phase glätten sich die Wogen wieder. Der Alltag kehrt ein. Die Gruppenmitglieder haben ihre Differenzen weitgehend überkommen, schätzen die Stärken der anderen und respektieren die Führungsperson.
Da man sich jetzt untereinander besser kennt, fällt es den Mitgliedern auch leichter andere um Hilfe zu bitten oder konstruktives Feedback zu geben. Gemeinsam erlangen sie ein gestärktes Verständnis für all die Dinge, die das Arbeitsziel erfordert und konzentrieren sich auf die Arbeit. In der Regel kann man erkennen, dass die Gruppe gute Fortschritte macht.
Gruppenmitglieder haben ihre eigene Rolle innerhalb des Teams erkannt, bestehende Hierarchie wird klar verstanden und alle wissen, welches Teammitglied für welche Fragen und Aufgaben der beste Ansprechpartner ist. Führungspersonen agieren nun eher als Vermittler.
Man fühlt Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit; manche Gruppenmitglieder treffen sich sogar ausserhalb der Gruppe. Sollten kleinere Probleme oder Unsicherheiten entstehen, so kann die Gruppe diese normalerweise schnell und ohne großen Aufwand lösen.
Obwohl die Storming Phase gut überwunden wurde kann es immer mal wieder vorkommen, dass größere Probleme Verhalten, welches in der Storming Phase allgegenwärtig war, kurz wieder aufkommen kann.
Performing:
Die Gruppe hat sich selbst gefunden. Prozesse, Normen und Strukturen sind klar definiert und funktionieren. Die Arbeit ist effizient und effektiv. Produktivität und Stabilität prägen die Gruppe; das Arbeitsziel wird erreicht. Man weiss, was zu tun ist und wie es am besten gemacht werden sollte.
Ehemals starre Rollen werden flüssiger und Gruppenmitglieder gleiten - in Einklang mit den Ansprüchen des Projekts - zwischen verschiedenen Rollen relativ mühelos hin und her. Man schätzt bestehende Unterschiede untereinander und versteht, dass Vielfalt die Qualität der Arbeit verbessert. Mitglieder fühlen sich in der Gruppe wohl und finden die Zusammenarbeit mühelos. Man vertraut einander.
Mitglieder benötigen Anweisungen oder Hilfestellungen von Führungsperson immer weniger oder gar nicht mehr. Man muss sich nicht mehr häufig treffen um sicherzustellen, dass die Arbeit angemessen gemacht wird, Probleme gelöst werden, oder um sicherzustellen, dass Mitglieder die nötigen Ressourcen haben. Die Meetings, die man noch hat, sind relativ kurz und bezeugen die gefundene Effizienz und Effektivität.
Auch jetzt kann es immer noch zu Konflikten kommen, aber das Team hat gelernt, wie Konflikt schnell und einfach gelöst werden kann. Das Team kann ohne größere Probleme mit Veränderungen umgehen ohne zu kollabieren.
(Adjourning):
Wenn ein Projekt abgeschlossen und die Arbeit erledigt ist, dann lösen sich Gruppen entweder von ganz alleine wieder auf oder sie werden von der Führungsperson aufgelöst.
Dies kann besonders schwer für Gruppenmitglieder sein, welche die Routine und die entstandenen Arbeitsbeziehungen mit Kollegen besonders schätzen. Viele Gruppenmitglieder fühlen einen gewissen Verlust und sind traurig - und daher nennt man diese Phase auch Trauerphase. Manche spüren Ängste und Unsicherheit, was als nächstes kommt - denn schliesslich gab die bisherige Gruppe ihnen Stabilität, Sicherheit und Vorhersagbarkeit.




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