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Nachhaltige Veränderung in Unternehmen

  • casa7000
  • Nov 3, 2022
  • 15 min read

Updated: Nov 20, 2022



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Veränderungen in Unternehmen stellen in der Regel eine ausgesprochen große Herausforderung da. Meist besteht ein Bedarf für Organisationsveränderungen durch wechselnde interne und externe Bedingungen - Schwankungen am Markt, veränderte Konsumentenansprüche, Lieferengpässe, Überalterung, neue Technologien, usw. Die Reaktion auf solche Herausforderungen sind immer gezielte Veränderungen innerhalb eines Unternehmens. Ohne eine entsprechende Anpassung wird sich ein Unternehmen längerfristig nicht halten können. Veränderungen verlangen aber nach mehr als nur einer bloßen Ansage. Es reicht nicht aus, den Mitarbeitern zu sagen, dass sie einen Prozess neu strukturieren müssen. Auch reicht es nicht aus, einfach neue Technologie im Gebäude aufzustellen. Veränderungen machen Angst! Das Gros der Veränderungsversuche in Organisation wird bestenfalls halbherzig umgesetzt. Viele Versuche scheitern langfristig komplett. Die allgegenwärtige und leider wenig aussagekräftige Erklärung für solches Scheitern: “Das liegt an unserer Kultur!”

Der Begriff “Unternehmenskultur” umschliesst ein Sammelsurium an Elementen, Werten, Einstellungen, Annahmen, Systemen, Strukturen, usw., aber was genau sich wirklich hinter diesem Begriff versteckt bleibt fast immer unentdeckt. Woran das liegt und was unternommen werden muss um eine Veränderung nachhaltig in einem Unternehmen zu etablieren erklären wir in diesem Artikel. Einleitung: Man kann (Unternehmens-)Kultur nicht verändern, wenn man den allgemeinen Veränderungsprozess in menschlichen Systemen nicht versteht. Bevor es an eine Veränderung geht, müssen wir immer zuerst ganz genau beantworten, was überhaupt das Problem ist. Eine Veränderung nur um der Veränderungs Willen ist nie hilfreich sondern führt immer zu Verwirrung und somit auch zu Unverständnis und kompletter Ablehnung in Unternehmen. Der erste wichtige Schritt, wenn eine Veränderung in Erwägung gezogen wird ist, dass wir das wahrgenommene Problem genau definieren. Was bringt uns überhaupt zu dem Punkt, dass wir eine Veränderung als notwendig oder wünschenswert ansehen? Ist dieser Grund wichtig genug um eine Veränderung anzustreben?

Wenn wir dabei zu dem Schluss kommen, dass tatsächlich etwas verändert werden muss, dann können wir uns aber noch immer nicht einfach in den Veränderungsprozess stürzen. Auch hier muss wieder ganz präzise und konkret analysiert und definiert werden: Was wollen wir verändern und warum?

Früher oder später fällt bei solchen Überlegungen immer das Wort “Kultur” in verschiedenen Kontexten. Paradoxerweise müssen die oben aufgezeigten Fragen aber beantwortet werden, ohne den Begriff Kultur zu verwenden. Schliesslich ist Kultur nur eine Abstraktion, die sich auf viele konkrete Dinge wie Struktur, Prozess, Überzeugungen, Werte und Verhaltensweisen bezieht.

Verwenden wir also den Begriff der Kultur um etwas zu erklären, so nehmen wir uns selber die Möglichkeit, genau herauszufinden, um was es sich dabei nun wirklich handelt. In diesem Sinne führt die Verwendung des Begriffs Kultur lediglich dazu, dass eine Diskussion und eine Ursachenforschung schon im Keim erstickt.

Jede geplante Veränderung beginnt also mit dem Erkennen eines Problems; dem Erkennen, dass etwas nicht so läuft wie erwartet - und einem klaren Hinterfragen der Faktoren, die uns dazu gebracht haben, über eine Veränderung als potenzielle Lösung nachzudenken.


Allgemeine Veränderungstheorie - Eine Übersicht: Was aber, machen wir jetzt mit unserer neugewonnen Erkenntnis? Bevor wir uns Hals über Kopf in den Prozess werfen und versuchen, das zu verändern, was wir gerade definiert haben, ist es wichtig, zuerst einmal die Grundprinzipien der Veränderung zu verstehen. In praktischen Settings nehme ich hierzu immer zwei Eimer zu Demonstrationszwecken mit. Eimer 1 beinhaltet Eis - eine solide Masse gefrorenen Wassers. In diesem Eis sind verschiedene Objekte - zum Beispiel, Knöpfe, Holzstöckchen, Plastikmünzen, etc. - an der Oberfläche ein- und festgefroren. In Eimer 2 befinden sich die identischen Objekte. Allerdings ist dieser Eimer nicht voll Eis, sondern voll Wasser. Der Eimer stellt unser Unternehmen da; die Objekte stehen für die Elemente unserer Unternehmenskultur: Prozesse, Abläufe, Regeln, Systeme, Strukturen, Mission, Strategie, Leadership, usw.

Wenn ich nun versuche die Objekte in Eimer 1 zu bewegen, so kann dies natürlich nicht gelingen - schliesslich sind die Objekte ja fest eingefroren. Und so ist es in unseren Unternehmen auch: Prozesse, Abläufe, etc. sind etabliert und oft auch tief verankert.


Um die Objekte in unserem Eimer - also die Elemente unserer Unternehmenskultur - zu bewegen, bieten sich nur zwei Möglichkeiten an:

1.) Anwendung von Gewalt: Ich könnte einen Hammer und einen Schraubenzieher benutzen um die einzelnen Objekte vom Eis zu loszuschlagen. Das geht - zerstört aber gleichzeitig auch immer sehr viel. Da Gewalt kein delikates Werkzeug ist, ist das Ausmaß der Zerstörung nicht einschätzbar.

Zwei Dinge sprechen also gegen die Anwendung von Gewalt um eine Veränderung in einem Unternehmen hervorzurufen:

Zum einen führt Gewalt zu Zerstörung - und zwar in einem Ausmaß, dass wir nicht abschätzen können. Zum anderen wirft die Anwendung von Gewalt natürlich ethische Fragen auf. Ich jedenfalls, möchte nicht in einem Unternehmen arbeiten, in welchen Gewalt dazu verwendet wird eine Veränderung aus mir heraus zu pressen.

2.) Auftauen: Wenn unser Eis nicht mehr solide ist, dann schwimmen die Objekte nun frei im Wasser herum. Dies bringt uns zu Eimer 2 - als Repräsentation der aufgetauten Organisation.

Wenn ein Auftauen stattgefunden hat, so kann man die im Wasser schwimmenden Objekte natürlich leicht verändern - jedoch stellt man hierbei sehr schnell fest, dass es dabei mehrere Herausforderungen gibt: a.) Manipulation eines Faktors führt auch zu Veränderungen anderer Faktoren: Wenn wir uns nun unserem Wassereimer widmen und versuchen, die darin schwimmenden Objekte in eine vorgegebene Konstellation zu schieben - zum Beispiel in eine Reihe - dann führt dies schnell zu Frustration. Jedesmal wenn wir ein Objekt bewegen führt dies automatisch dazu, dass alle anderen Objekte ebenfalls in Bewegung geraten. Im Wassereimer liegt das an der Oberflächenspannung, im Unternehmen an der gegenseitigen Abhängigkeit der Unternehmenselemente. Somit ist es schier unmöglich, die Objekte in unserem Eimer - und auch in unserem Unternehmen - genau so anzuordnen, wie wir dies gerne hätten.

Obwohl das Chaos und die Frustration schon dadurch groß genug sind, gibt es natürlich noch andere Faktoren, die uns das Leben - das heisst, die angestrebte Veränderung - noch um einiges erschweren. b.) Externe Faktoren beeinflussen, wie sich die Elemente untereinander verhalten: Führen wir uns wieder Eimer 2 vor Augen. Mit viel Mühe haben wir nun versucht die Anordnung der schwimmenden Elemente so verändern, wie wir es gerne hätten. Super. Fast geschafft. Es sei denn, jemand rüttelt an unserem Eimer oder rührt einmal mit dem Löffel darin herum. Schon ist all unsere Arbeit dahin - unsere Veränderung ist trotz aller Mühe sofort gescheitert. Natürlich rührt niemand sprichwörtlich mit einem Löffel in einem Unternehmen, aber externe Einflüsse - und um diese geht es hierbei - haben sehr wohl einen riesigen Effekt.

c.) Mehrere Hebel sind notwendig um alle relevanten Faktoren an der gewünschten Stelle zu halten - absolute Kontrolle: Da wir ja nicht zum ersten Mal mit Veränderung umgehen, könnte es uns nun natürlich in den Sinn kommen, dass wir vielleicht mehrere Veränderungshebel benutzen können um die Veränderung zu erzielen. Wenn jedes unsere Unternehmenselemente unter unserer direkten Kontrolle steht, so können wir möglicherweise gewährleisten, dass alle Elemente auch genau dort sind, wo wir sie haben wollen. Man könnte vielleicht argumentieren, dass absolute Kontrolle auch wieder ein ethisches Problem darstellt. Allerdings ist es ja genau dieses Kontrollverlangen, dass in traditionellen Unternehmen - besonders in frühen Entwicklungsphasen - zu Erfolg führen kann. Der Begriff Kontrolle hat ja durchaus auch negative Konnotationen, weshalb man solche Vorgehensweisen gemeinhin als “optimiert,” aufeinander perfekt abgestimmt” oder “durchdacht” bezeichnet um ihnen ein positives Antlitz zu verleihen. Allerdings wirft dieser Ansatz - zumindest mit Hinsicht auf eine Veränderung - noch ein weiteres Problem auf, welches man am Modell des Wassereimers ebenfalls ganz prima nachvollziehen kann: d.) Das Entfernen der Hebel führt dazu, dass wieder alle Faktoren in Bewegung sind: Um eine Veränderung zu etablieren, müssten wir also theoretisch jedes Element eines Unternehmens permanent so manipulieren, dass die gewünschte Veränderung nicht durch die große Vernetzung der Unternehmensfaktor oder durch externe Einflüsse beeinträchtigt ist.

Der Aufwand - und somit auch die Kosten - um so etwas durchzusetzen dürften in der Regel so enorm sein, dass ein solcher Ansatz nicht realisierbar oder wünschenswert ist.

Was können wir also machen, um eine Veränderung zu etablieren? Unser Wassereimer bietet uns die einfachste Lösung. Haben wir vorher das Eis aufgetaut um eine Veränderung durchzuführen, so müssen wir das Wasser - und somit die Objekte darin - einfach wieder einfrieren.

Ganz einfach, oder?

Obwohl es natürlich ganz einfach ist, einen Eimer mit Eis aufzutauen oder einen Eimer mit Wasser wieder einzufrieren, so ist es leider überhaupt nicht intuitiv und augenscheinlich auch nicht einfach, wie wir dies bei einem Unternehmen machen könnten. Und dazu kommen wir jetzt!

Lassen Sie uns aber zuerst nochmal kurz zusammenfassen, was wir bisher wissen:

  • Die verschiedenen Elemente in Unternehmen sind relativ fest verankert und eingebettet.

  • Eine Veränderung dieser Elemente kann entweder durch Gewalt oder durch Auftauen ermöglicht werden.

  • Gewalt ist hierbei kein angeratener Ansatz.

  • Die Veränderung eines Unternehmenselements bringt immer die Veränderung anderer Elemente mit sich.

  • Absolute Kontrolle aller relevanten Elemente ist kostspielig und meistens unangemessen.

  • Eine Veränderung muss im Unternehmen nachhaltig verankert - wieder eingefroren - werden.

Drei Phasen der Veränderung:


Daraus ergeben sich drei Phasen der Veränderung:


Auftauen - Unfreeze

Verändern - Change

Einfrieren - Refreeze


Das Gute daran vorab: Eine Veränderung ist einfach genau das, was wir auch hinter dem Wort vermuten: Der Wechsel von einem alten Zustand in einen neuen. Wie diese Veränderung genau aussieht hängt natürlich von unzähligen Faktoren ab. Vielleicht geht es um die Umsetzung eines neuen Prozesses oder um die Einführung einer neuen automatischen Stanze. Oder aber wir streben eine fundamentale Restrukturierung des Unternehmens an. Da eine angestrebte Veränderung also “alles” sein kann, bietet sich hier auch nur ein minimaler Ansatz für eine weitere Erklärung. Eine Veränderung führt von einem “Ist”-Zustand zu einem “Soll”-Zustand. Die zweite gute Nachricht ist, dass eine Veränderung die tatsächlich zu einer Verbesserung führt, sich automatisch etabliert. Hier muss ein Change Agent eigentlich nicht viel machen. Wenn aufgrund des neuen Prozesses eine höhere Qualität erzielt wird, die Produktionszahlen in die Höhe schnell, Kapazitäten sich erhöhen, Mitarbeiter sich fairer entlohnt fühlen - oder was auch immer die eingeführte Veränderung beabsichtig - so bleibt der neue Prozesse meist automatisch bestehen. Führt der neue Prozess nicht zu einer Verbesserung, so führt dies unweigerlich zu einem neuen Veränderungsbedarf. Dies führt uns zum wichtigsten Element der Veränderung: Der Vorbereitung - das heisst, dem Erschaffen von Motivation und Veränderungsbereitschaft. Um eine Veränderung erfolgreich umzusetzen und auch nachhaltig einzubetten ist diese Phase von essentieller Wichtigkeit. Wer hier seine Hausaufgaben nicht macht, verringert die Chance auf Erfolg in großem Ausmaß. Dies kann man eigentlich nicht genug betonen. Die meisten Menschen sind allerdings handlungsorientiert und es ist in Meetings nicht ungewöhnlich wenn Teilnehmer sich irgendwann beschweren, dass jetzt genug geredet wurde und endlich etwas gemacht werden soll. Dieser Druck kann dazu führen, dass der Vorbereitungsphase - dem Auftauen oder Unfreezing - nicht genug Zeit gewidmet wird.


Veränderungstheorie - Detailwissen:

Die oben beschriebenen Phasen und Zyklen der Veränderung hören sich, wie schon gesagt, erstmal recht einfach an, stellen aber eine Herausforderung da, wenn man diesen Ablauf im Unternehmen umsetzen möchte. Wie tauen wir ein Unternehmen auf? Wie frieren wir es wieder ein? Die Antworten auf diese und andere Fragen streben wir im nachfolgenden Segment an. Phase 1: Unfreeze/Auftauen: Es gibt drei Mechanismen um Organisation aufzutauen. Auftauen bedeutet hierbei natürlich nichts anderes, als Motivation und Bereitschaft für Veränderung zu schaffen. Wohingegen wir einen Eimer Eis natürlich recht einfach und intuitiv auftauen können, so benötigen wir in Unternehmen einen anderen Ansatz, der aber zum gleichen Ergebnis führt: Die Elemente unseres Unternehmens können manipuliert - in ihrer Anordnung verändert - werden.

1.) Disconfirmation/Falsifikation - manchmal auch als mangelnde Bestätigung bezeichnet: Eine Falsifikation ist jede Information, die jemandem in einer Organisation zeigt, dass einige seiner Ziele nicht erreicht werden, oder dass manche der Prozesse nicht zu gewünschten Ergebnissen führen. Solche Informationen sind üblicherweise jedoch nur symptomatisch, das heisst, sie sprechen nicht das zugrundeliegende Problem an, sondern zeigen nur auf, welchen Effekt das zugrundeliegende Problem erzeugt.

Falsifikation an sich schafft nicht automatisch Motivation zur Veränderung, weil die Mitglieder der Organisation die Gültigkeit der Information leugnen oder sie als irrelevant abtun können. Vielmehr ruft Falsifikation zwei für die Motivation relevante Emotionen hervor: Überlebensangst und/oder Schuldgefühle.

Um das Auftauen eines Unternehmens zu ermöglichen, müssen die falsifizierenden Informationen, die bereits bestehen, genutzt werden. Manchmal ist es auch hilfreich, wenn ein sogenannter Change Agent - also die Person(en), die eine Veränderung in einer Organisationen vorantreiben sogar selbst die Quelle von falsifizierender Information ist/sind: In dem sie das Problem selbst definieren können sie so manchmal eine Krise erzeugen, um Motivation zur Veränderung zu schaffen.

2.) Hervorrufen von Überlebensangst oder Schuldgefühlen - und Lernangst als Gegenpol: Wenn wir aufzeigen können, dass das was wir im Moment machen nicht gut funktioniert, aber das eine neue Methode zu einem besseren Ergebnis führen wird, dann fühlen Menschen sich entweder durch ein Schulgefühl oder durch ein Gefühl der Überlebensangst motiviert. Das Gefühl der Schuld motiviert, weil Menschen sich nicht wohlfühlen, wenn sie wissen, dass sie etwas nicht richtig machen. Das Gefühl der Überlebensangst motiviert, well Menschen fürchten, dass sie Nachteile haben werden oder sogar ihren Job verlieren, wenn sie sich der Veränderung nicht widmen.

Selbst wenn Überlebensangst verspürt wird, kann sie geleugnet oder unterdrückt werden, weil Menschen natürlich auch gleich verstehen, dass das Erlernen neuer Arten etwas wahrzunehmen, zu denken und zu fühlen, sowie das Erlernen neuer Verhaltensweisen sehr schwierig sein kann.

Damit eine falsifizierende Information Angst oder Schuldgefühle auslöst, muss sie implizieren, dass ein wichtiges Zeil nicht erreicht oder ein wichtiger Wert gefährdet wird.

Das falsifizierende Informationen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird geschieht auf zwei Ebenen: 1) Seitens von Führungskräften, die in einer Position sind, in der sie handeln und die Informationen aus persönlichen psychologischen Gründen leugnen oder verdrängen.

2) Die Informationen sind in manchen Teilen der Organisation verfügbar, sie werden aber auf verschiedene Arten verdrängt.

Das Problem hierbei ist, dass diese zwei wichtigen Emotionen - Schuld und Überlebensangst - einer anderen Emotion direkt gegenüber stehen: Der Lernangst

Lernangst: Manchmal existiert eine falsifizierende Information bereits seit Langem, doch aufgrund ungenügender Überlebensangst und einem hohen Maß an Lernangst hat die Organisation eine Veränderung kollektiv vermieden, indem sie die Relevanz, Gültigkeit oder sogar die Existenz der Information geleugnet haben. Beispiel: Verschiedene Studien zeigen, dass Menschen weitaus aufnahmebereiter für Informationen sind, wenn sie sich dabei in einer ungewöhnlichen Situation befinden. Ich möchte natürlich, dass Sie so viel wie möglich durch das Lesen dieses Artikels lernen. Deshalb bitte ich Sie für den Rest dieses Artikels ihren rechten Schuh auszuziehen und diesen auf dem Kopf balancieren! Machen Sie das? Natürlich nicht. Warum nicht? Wahrscheinlich, weil Ihnen verschiedene Gegenargumente durch den Kopf gehen: - Die Studie ist völliger Quatsch

- Ich verstehe nicht, wie das helfen soll - Ich mach mich doch hier nicht lächerlich

- Ich lerne auch so schon genug Falsifikation, Überlebensangst, und Schuldgefühle können zu Veränderung führen - und trotzdem geschieht dies häufig nicht. Selbst wenn Überlebensangst verspürt wird, kann sie geleugnet oder unterdrückt werden, weil man begreift, dass das Erlernen neuer Arten wahrzunehmen, zu denken und zu fühlen, sowie neuer Verhaltensweisen sehr schwierig sein kann. Wenn die falsifizierende Information Leugnung und Abwehr der Organisation “durchdringt”, erkennt sie die Notwendigkeit einer Veränderung an.

Die Einführung eines Veränderungsprogrammes erzeugt jedoch Lernangst. Die Interaktion dieser Ängste erschafft die komplexe Dynamik der Veränderung. Die Gründe für Lernangst haben wir bereits zum Teil aufgelistet. Lernangst erzeugt Widerstand gegenüber der Veränderung und diese Lernangst basiert auf einem oder mehreren triftigen Gründen:

  • Angst vor einem Verlust von Macht oder Position.

  • Angst vor vorübergehender Inkompetenz.

  • Angst vor Bestrafung für Inkompetenz.

  • Angst vor Verlust der persönlichen Identität.

  • Angst vor Verlust der Gruppenmitgliedschaft.

Eine oder mehrere dieser Kräfte führen zu dem, was wir gemeinhin als “Widerstand gegenüber Veränderung” bezeichnen. Dies kann durch Leugnen ausgedrückt werden, durch das Finden eines Sündenbocks relativiert werden oder durch Verhandeln und eigenen Positionierung abgeschwächt werden. Solange die Lernangst groß bleibt, motiviert sie eine Person dazu, der Gültigkeit der falsifizierenden Information zu widersprechen oder aber verschiedene Ausreden zu erfinden, warum man eben jetzt gerade nicht Neues lernen kann. Diese Reaktionen laufen oft gemäß folgender Phasen ab: 1.) Leugnen: Die falsifizierende Information wird als falsch, unzutreffend, oder irrelevant abgetan.

2.) Sündenbock suchen, sich drücken: Die Ursache für die falsifizierende Information liegt bei jemand anderen, einem anderen Team oder einer anderen Abteilung. Daher ist es natürlich auch völlig unsinnig, sich selbst mit dieser Information zu beschäftigen.

3.) Positionieren, verhandeln: Wenn eine Person nicht umhin kommt, die falsifizierende Information als richtig, zutreffend oder angemessen zu verstehen, dann kann es häufig zu einer Verhandlungsphase kommen in welcher betroffene Personen versuchen, sich selbst in eine vorteilhaftere Position zu manövrieren. Das heisst, prinzipiell wollen diese Personen davon überzeugt werden, dass die anstehenden Veränderungen auch im eigenen Interesse sind.

Wie schaffen wir es also, gute Bedingungen für eine Veränderung zu erschaffen? Hierbei kommen zwei wichtige Prinzipien ins Spiel:

Prinzip 1: Die Überlebensangst oder Schuld muss größer sein als die Lernangst:

Das Problem bei diesem Ansatz ist, dass eine größere Bedrohung oder verstärkte Schuldgefühle vielleicht einfach nur zu stärkerer Abwehr führen kann. Diese Erkenntnis führt zu einem Schlüsselaspekt der Veränderung, verkörpert im zweiten Prinzip! Fahren sie alle Auto? Manchmal auch zu schnell? Wissen sie, wann sie nie zu schnell fahren? Wenn sie wissen, dass irgendwo ein Blitzer steht. Dann bleiben wir nämlich alle unter der vorgeschriebenen Geschwindigkeit. Und sowie wir am Blitzgerät vorbei gefahren sind erhöhen die meisten Menschen auch schon automatisch wieder die Geschwindigkeit. Was lernen wir daraus: Sanktionen und Drohungen funktionieren nur in Gegenwart der bestrafenden Macht. Daraus resultiert lediglich Gehorsam, aber keine Verinnerlichung. Wenn ich ihnen eine Pistole auf die Brust setzen würde, dann hätten sie ihren Schuh schon vor mehreren Absätzen ausgezogen und auf ihrem Kopf balanciert! In diesem Fall wären alle anderen Einwände untergeordnet gewesen.

Prinzip 2: Die Lernangst muss reduziert werden, anstatt die Überlebensangst zu verstärken:

Dies führt uns natürlich zu einem komplett anderen Ansatz. Anstatt Schuld und Druck zu erhöhen, muss die Lernangst reduziert werden, indem wir das Gefühl der psychologischen Sicherheit beim Lernenden erhöhen und externe Hindernisse für die Veränderung abbauen. Wie wir das erreichen können, erfahren Sie hier: Psychologische Sicherheit Die Person oder Gruppe, die das Ziel der Veränderung darstellt und von etwas Altem auf etwas Neues umlernen muss, muss das Gefühl bekommen, dass dies nicht nur möglich, sondern auch in ihrem eigenen Interesse ist. Die Schaffung solch psychologischer Sicherheit für Organisationsmitglieder umfasst acht Aktivitäten, die gleichzeitig ausgeführt werden müssen. Sie stehen hier in chronologischer Reihenfolge, doch der Change Leader muss darauf vorbereitet sein, sie alle umzusetzen.

1.) Eine überzeugende positive Vision bieten: Die Zielpersonen der Veränderung müssen glauben, dass es ihnen und auch dem Unternehmen besser geht, wenn sie die neue Denk- und Arbeitsweise erlernen. Eine solche Vision muss ausgesprochen werden und die Unternehmensführung - die ganz klar die Verhaltensweisen der “neuen Art zu arbeiten” verdeutlichen muss - muss geschlossen dahinterstehen. Zusätzlich muss erklärt werden, dass diese neue Arbeitsweise nicht verhandelbar ist.

2.) Offizielle Schulungen bieten: Wenn die neue Arbeitsweise neues Wissen und neue Fertigkeiten beinhaltet, müssen die Mitglieder sowohl offiziell als auch informell geschult werden um an den neuen Ansatz herangeführt zu werden.

3.) Den Lernenden einbinden: Wenn die offiziellen Schulungen greifen sollen, müssen die Lernenden das Gefühl haben, dass sie mit ihrem eigenen informellen Lernprozess zurechtkommen. Wie wir aus eigener Erfahrung wissen lernt jeder Mensch auf unterschiedliche Weise. Es ist daher von essentieller Bedeutung, dass die Lernenden in die Gestaltung ihres eigenen, für sie am besten geeigneten Lernprozesses, eingebunden werden. Zwar mögen die Lernziele nicht verhandelbar sein, doch die Lernmethode und die neue Arbeitsweise können oft höchst individuell gestaltet werden ohne die grundsätzliche Ziel der Veränderung zu beeinträchtigen.

4.) Schulung relevanter “Familiengruppen” und Teams: Da kulturelle Annahmen in Gruppen eingebettet sind, müssen die offizielle Schulung und die Übungen zum neuen Ansatz ganzen Gruppen - und nicht nur Individuen - angeboten werden. Einzelpersonen können oftmals nicht gegen die etablierten Dynamiken ihres Umfeldes ankommen. Auch wenn sie sich anfänglich vielleicht noch gegen den Druck der eigenen Arbeitsgruppe, des Teams oder der Abteilung stellen können, so werden sie letztendlich durch diesen Druck dazu bewegt, sich weiterhin konform zu verhalten. Um die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs eines Veränderungsprozesses zu erhöhen, müssen neue Normen und Annahmen innerhalb der Arbeitsgruppen, Teams, Abteilung, usw., gemeinsam aufgebaut werden.

5.) Ressourcen bieten: Ressourcen umfassen Zeit, Übungsmöglichkeiten, Coaches und Feedback. Lernende können nicht grundlegend Neues erlernen, wenn sie nicht die Zeit, den Raum, das Coaching und das Feedback zu ihrer Leistung haben. Übungsmöglichkeiten sind hierbei besonders wichtig, damit die Lernenden im neuen Prozess Fehler machen können, ohne den Betrieb oder Arbeitsablauf der eigentlichen Organisation dadurch zu stören. 6.) Positive Vorbilder schaffen: Die Lernenden müssen das neue Verhalten und die neue Haltung bei einer anderen Person oder einem anderen Team beobachten können. Je besser sich die Lernenden mit diesen Vorbildern identifizieren können - insbesondere in den höheren Ebenen des Unternehmens, desto sicherer werden sie sich bei der Umsetzung der Veränderung fühlen. 7.) Gruppen zur Unterstützung bieten, in denen Lernprobleme angesprochen und diskutiert werden können: Die Lernenden müssen die Möglichkeit haben, mit anderen, die die gleichen Probleme erleben, über ihre Lernfrustrationen und -schwierigkeiten zu sprechen. Dies dient dazu, sich gegenseitig zu unterstützen und zu merken, dass man in dieser Situation nicht alleine ist. Durch dieses Gefühl des Zusammenhalts können somit gemeinsame Wege erlernt werden, wie man mit den Schwierigkeiten und Herausforderungen des Erlernens von etwas Neuem am besten umgehen kann.

8.) Hindernisse beseitigen und neue Belohnungssysteme und -strukturen aufbauen: Die Strukturen, Belohnungs- und Kontrollsysteme der Organisation müssen im Einklang mit der neuen Denk- und Arbeitsweise stehen.

Phase 2 - Veränderung: Neues Verhalten kann immer durch zwei verschiedene Möglichkeiten erlernt werden:

1.) Imitation und Identifikation: Wir imitieren ein Vorbild und identifizieren uns psychologisch mit dieser Person.

2.) Suche und Trial-and-Error Lernen: Wir untersuchen unsere Umwelt und wenden immer neue Ansätze an, bis etwas funktioniert. In der Praxis nutzen wir natürlich beide Lernmethoden, in dem Sinne, dass die Dinge, die wir ausprobieren wollen, oft auf der Imitation eines Vorbilds basieren. Auch hängt der spezifische Lernansatz stark davon ab, wie komplex der zu lernende Vorgang ist. Ein einfacher Vorgang kann leicht durch Imitation erlernt werden. Ein sehr komplexer Vorgang erfordert aber einen sich immer wieder verändernden Ansatz - so lange, bis endlich eine bestimmte Vorgehensweise funktioniert. Wie lange dauert es, bis als Kind gelernt haben, wie ein Türschloss funktioniert? Haben sie das Schloss immer wieder probiert bis es auf einmal eben auf war? Oder haben sie zuerst einem Erwachsenen zugeschaut und daraus ihren Ansatz abgeleitet? Funktioniert dieser Ansatz, wenn Sie ein neues Antriebssystem entwickeln wollen? Oder experimentieren Sie dabei so lange, bis das gewünschte Ergebnis erzielt wird?

Imitation und Identifikation funktionieren am besten, wenn klar ist, wie die neue Arbeitsweise aussieht und welche neuen Überzeugungen und Werte übernommen werden sollen. Neue Überzeugungen und Werte können durch die Identifikation mit einem charismatischem Change Leader oder mit anderen Menschen, die extra für den Veränderungsprozess in ein Unternehmen geholt werden, manchmal unmittelbar übernommen werden.

Die Einbindung der Lernenden impliziert nicht, dass die Lernenden eine Wahl in Bezug auf das zu erreichende Ziel haben, doch es heißt durchaus, dass sie eine Wahl bei den Mitteln für den Weg dorthin haben können.



Phase 3: Refreezing, Internalisierung und Lernflexibilität Hiermit wird die Tatsache bezeichnet, dass sich das neue Lernen erst stabilisiert, wenn es durch tatsächliche Ergebnisse verstärkt wird. Wenn sich herausstellt, dass das neue Verhalten nicht zu besseren Resultaten führt, wird diese Information als falsifizierend wahrgenommen und bewirkt einen neuen Veränderungsprozess. Refreezing bedarf also keines besonderen Prozesses. Vielmehr führt der Erfolg einer Veränderung automatisch dazu, das der veränderte Prozess etabliert wird. Eine nicht erfolgreiche Veränderung führt unweigerlich zu einem neuen Veränderungsprozess.


Für zusätzliche Informationen empfehle ich:

Edgar H. Schein: Organisationskultur und Leadership, Vahlen, 2017 auf dessen Werk dieser Artikel basiert.

 
 
 

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