top of page

Change Management vs. Organisationsentwicklung: Konzepte, Grundlagen und praktische Anwendung

  • casa7000
  • Oct 27
  • 7 min read

Updated: Oct 28

ree

Die meisten Unternehmen stehen ständig vor immer neuen Herausforderung: Externe, aber auch interne Faktoren erfordern eine Veränderung dessen, was bisher gut funktioniert hat.


Die Schwierigkeiten liegen nicht nur in der Geschwindigkeit mit welcher sich Rahmenbedingungen verändern, sondern auch in dem Ansatz, auf diese Veränderungen immer schneller und immer flexibler zu reagieren um einen Wettbewerbsvorteil zu haben, oder gar, die neuen Impulse zu antizipieren - und zwar am besten bevor andere davon Wind bekommen.


Allerdings stellen Unternehmen immer wieder fest, dass eine gute Voraussicht und ein guter Plan noch lange nicht genug sind, um Wahrnehmungen, Impulse, Ideen oder Notwendigkeiten auch umzusetzen.


Um Erfolg zu haben müssen Veränderungen effektiv gestaltet werden.Zwei zentrale Ansätze in diesem Feld sind „Change Management“ und „Organisationsentwicklung“ (OE). Obwohl beide Begriffe häufig synonym verwendet werden, unterscheiden sie sich deutlich in Bezug auf Umfang, Annahmen, Methoden und Zielsetzungen.


Dieser Beitrag untersucht ihre Unterschiede und Schnittstellen unter Rückgriff auf die Arbeiten von Edgar H. Schein (insbesondere zur Organisationskultur und zum Veränderungsprozess) sowie W. Warner Burke (insbesondere zu OE und dem kausalen Modell organisationaler Leistung und Veränderung). Nach einer historischen Einordnung werden Vor- und Nachteile beider Ansätze, typische Herausforderungen sowie Kriterien dafür dargestellt, wann welcher Ansatz – oder eine Kombination beider - sinnvoll ist.



Einleitung


Seit ich vor rund sieben Jahren angefangen habe, auch in Deutschland zu arbeiten, fällt mir immer wieder auf, dass viele Unternehmen - und auch sehr viele Unternehmensberater - sich nicht bewusst sind, dass Veränderungen auf unterschiedliche Art und Weise betrachtet - und auch angegangen - werden können.


Wenn ich nachfrage, was Organisationsentwicklung bedeutet, so wird mir häufig - und fast schon lapidar - erklärt, dass es sich dabei um den Umgang mit einer Veränderung in einem Unternehmen (bzw., einer Organisation) handelt.


Auf Nachfrage wird mir vermittelt, dass Organisationsentwicklung letztendlich alles ist, was in irgendeiner Weise auf Veränderungen in Unternehmen eingeht. Hier werden gerne operative und strategische Aktivitäten (oft ,,Maßnahmen"genannt) aufgeführt. Alles, was zum Wachstum einer Firma beiträgt, ist somit Organisationsentwicklung. Kurzum, für viele Menschen bedeutet Organisationsentwicklung, dass man sich mit jeglicher Anpassung des Unternehmens beschäftigt. Egal wie, egal wo, egal wann, egal was.


Damit verbunden wird häufig der Anspruch genannt, diese Entwicklung irgendwie in vernünftige Bahnen zu leiten. Zeitsträhle, Verantwortlichkeiten, Deadlines und Umsetztungstatus werden definiert. Das alles muss koordiniert, überprüft und - wenn notwendig - revidiert und angepasst werden. Das nennt man dann Change Management - da man ja eine Veränderung  bzw., den Umgang mit dieser Veränderung - also einen Change ,,managed.” Wer einen Change erfolgreich managed erzielt eine Veränderung - ein Begriff, der gerne mit dem Begriff der Transformation gleichgesetzt wird.


Und somit entsteht eine seltsame, verwirrende und eher bedeutungslose Gleichung:


Veränderung = Transformation = Change Management = Organisationsentwicklung


Dabei bestehen bei diesen Begrifflichkeiten fundamentale Unterschiede:


Organisationen agieren heute in zunehmend dynamischen und komplexen Umfeldern: Technologische Disruption, Globalisierung, sich wandelnde Mitarbeitendenerwartungen, regulatorische Veränderungen und Wettbewerb erfordern kontinuierliche Anpassung. Um diesen Wandel zu gestalten, greifen Unternehmen auf strukturierte Veränderungsprozesse zurück.


Die zwei dominanten Paradigmen sind das Change Management und die Organisationsentwicklung (OE). Obwohl eng verwandt, unterscheiden sie sich in Fokus, Prozessen und Grundhaltung.


Für Führungskräfte, HR-Verantwortliche und interne wie externe Berater ist das Verständnis dieser Unterschiede entscheidend, um Veränderungsprozesse effektiv zu gestalten. Dies zu ermöglichen ist der Anspruch dieses Artikels.


Dieser Beitrag fragt daher:


Welche historischen Wurzeln haben beide Ansätze?


Worin bestehen ihre zentralen Logiken, Stärken und Schwächen?


Welche Herausforderungen treten auf?


Und wann ist es sinnvoll, Change Management, OE oder eine Kombination beider anzuwenden?


Manchmal fühlt sich Veränderung so an, als würden überall neue Herausforderungen auftauchen.
Manchmal fühlt sich Veränderung so an, als würden überall neue Herausforderungen auftauchen.

Hintergrund und historische Wurzeln


Organisationsentwicklung (OE)

Die Organisationsentwicklung entstand Mitte des 20. Jahrhunderts auf Basis der Verhaltenswissenschaften, der Human-Relations-Bewegung und des systemischen Denkens.

Laut der OD Network-Definition handelt es sich um „einen interdisziplinären Ansatz, der gemeinsam mit Organisationen und Gemeinschaften daran arbeitet, ihre systemische Leistungsfähigkeit und Vitalität zu verbessern“.


W. Warner Burke - mein ehemaliger Mentor und eine ausgesprochen treibende Kraft in der Evolution der Organisationsentwicklung - betont, dass OE keine beliebige Veränderung sei, sondern ein geplanter, organisationsweiter, von der Führung gesteuerter Prozess, der auf Effektivität und Gesundheit des Gesamtsystems abzielt. Im Grundsatz der Organisationsentwicklung geht es darum, die Kultur einer Organisation systematisch, geplant und nachhaltig positiv zu verändern.


Die Wurzeln der Organisationsentwicklung liegen unter anderem in den Arbeiten von Kurt Lewin, Richard Beckhard und Chris Argyris, die Aktionsforschung, Gruppenprozesse und partizipative Interventionen zur Verbesserung organisationaler Lernfähigkeit nutzten.



Change Management

Das Change Management entwickelte sich etwas später, parallel zur Beschleunigung organisationaler Veränderungen durch Technologie, Globalisierung und Restrukturierung. 


Change Management konzentriert sich stärker auf strukturierte Verfahren, um Individuen, Teams und ganze Organisationen von einem Ist- in einen Sollzustand zu überführen. 


Edgar H. Schein - einer der Gründungsväter der modernen Organisationsentwicklung mit dem ich in den letzten Jahren seines Lebens die Ehre hatte über die Thematik der Organisationsentwicklung zu kommunizieren - verknüpft Change Management aber auch eng mit Kultur und beschreibt Veränderung im Sinne von Lewins Modell des Auftauens - Veränderns - Einfrierens.


In seinem Kulturmodell unterscheidet Schein zwischen Artefakten, Werten und grundlegenden Annahmen und betont, dass nachhaltige Veränderung nur gelingt, wenn auch die tief liegenden Annahmen bearbeitet werden. Entscheidend ist hier, dass Change Management die Kultur als unterstützenden Faktor betrachtet - sozusagen als Beiwerk, das bei einer Veränderung berücksichtigt werden sollte.


Damit teilen OE und Change Management eine gemeinsame theoretische Herkunft (Verhaltenswissenschaften, Sozialpsychologie, Systemdenken), unterscheiden sich jedoch in Schwerpunkt und Herangehensweise: OE zielt auf systemisches Lernen und ganzheitliche Entwicklung (mit Fokus auf Organisatinskultur), während Change Management stärker auf Implementierung, Akzeptanz und Stabilisierung des Neuen ausgerichtet ist.


Man beschreibt Organisationsentwicklung meist mit dem Begriff der Transformation - wohin es sich bei Change Management um einen transaktionalen Ansatz handelt.



Zentrale Unterschiede: Umfang, Fokus, Annahmen


Aus der Literatur lassen sich mehrere Unterscheidungsdimensionen ableiten:


  • Umfang und Tiefe

    • OE: Systemweit, langfristig, häufig transformativ; bezieht Kultur, Struktur, Strategie, Prozesse und Menschen ein.


    • Change Management: Häufig projektbezogen, fokussiert auf die Umsetzung und Akzeptanz einer definierten Veränderung.


  • Zielrichtung

    • OE: Verbesserung der organisationalen Gesundheit und Lernfähigkeit (also der Organisationskultur); langfristige Anpassungsfähigkeit.


    • Change Management: Erfolgreiche Umsetzung einer konkreten Maßnahme (z. B. IT-Einführung, Fusion, Reorganisation - also ein Fokus auf eine transaktionale Umsetzung konkreter Maßnahmen).


  • Grundannahmen über Veränderung

    • OE: Organisationen sind offene, lernfähige Systeme; Veränderung erfolgt durch Diagnostik, Partizipation und gemeinsames Lernen.


    • Change Management: Veränderung kann geplant, gesteuert und kommuniziert werden; im Fokus stehen Struktur, Kommunikation, Führung und Qualifizierung.


  • Zeithorizont und Methoden

    • OE: Langfristig, kultur- und kompetenzorientiert.


    • Change Management: Kurz- bis mittelfristig, prozessorientiert, häufig eng mit Projektmanagement verknüpft.


  • Rolle der Kultur

    • In Scheins Arbeiten ist Kultur zentral: Nur wer Werte und Grundannahmen adressiert, kann dauerhafte Veränderung erreichen.


    • Change Management bezieht Kultur meist am Rande ein – etwa als Erfolgsfaktor der Implementierung, nicht als Gegenstand tiefer Transformation.


  • Messung und Erfolgskriterien

    • OE: Fokussiert auf Gesundheit, Lernfähigkeit und Passung im Gesamtsystem.


    • Change Management: Betont messbare Resultate wie Zeit, Kosten, Akzeptanzraten und Projekterfolg.



Vorteile und Nachteile


Vorteile der Organisationsentwicklung

  • Ganzheitlicher Ansatz mit nachhaltigen Wirkungen und Förderung organisationaler Lern- und Anpassungsfähigkeit.

  • Förderung von Beteiligung, Reflexion und Dialog – Veränderung „von innen heraus“.

  • Entwicklung langfristiger Veränderungskompetenz („change capacity“).


Nachteile der Organisationsentwicklung

  • Hoher Zeit- und Ressourcenaufwand.

  • Schwierige Messbarkeit und oft geringe kurzfristige Ergebnisorientierung.

  • Gefahr der Überkomplexität und fehlender Priorisierung.

  • Gefahr der Verwechslung oder Verwässerung mit bloßem „Change Management“ (Burke).


Vorteile des Change Managements

  • Strukturiert, ergebnis- und prozessorientiert; liefert schnell sichtbare Resultate.

  • Gut mit Projektmanagement und betriebswirtschaftlichen Steuerungslogiken vereinbar.

  • Unterstützt Akzeptanz, Kommunikation und Beteiligung im Veränderungsprozess.


Nachteile des Change Managements

  • Gefahr oberflächlicher Umsetzung ohne kulturelle Verankerung.

  • Oft technokratisch und kurzfristig; Nachhaltigkeit gering.

  • Fehlende Förderung der organisationalen Lernfähigkeit.

  • Gefahr von „Change Fatigue“, wenn viele Einzelprojekte ohne Gesamtrahmen sondern isoliert und von anderen Projekten separat durchgeführt werden.



Herausforderungen in der Praxis


Beide Ansätze stoßen auf wiederkehrende Hürden:


  • Widerstand gegen Veränderung: Psychologische Sicherheit und das Verhältnis von Lern- zu Überlebensangst (Schein) sind entscheidend.

  • Kulturelle Trägheit: Tief verwurzelte Annahmen erschweren nachhaltige Veränderung.

  • Fehlende Systemkonvergenz: Struktur, Strategie, Systeme und Kultur sind oft nicht aufeinander abgestimmt.

  • Führungskompetenz und Engagement: Ohne sichtbare Unterstützung der Führung scheitern die meisten Initiativen.

  • Integration von Menschen und Technik: Technische Veränderungen werden häufig ohne ausreichende Berücksichtigung menschlicher Faktoren umgesetzt.

  • Nachhaltigkeit und Verstärkung: Neue Praktiken müssen stabilisiert und im Alltag verankert werden.

  • Spannung zwischen Tempo und Tiefe: Schnelle Umsetzung kollidiert mit der nötigen Reflexion und Lernarbeit.

  • Messung und Wirksamkeit: Besonders bei OE ist der Nachweis des Nutzens schwieriger als bei klassischen Projekten.



Wann welcher Ansatz sinnvoll ist:


Change Management

Empfehlenswert, wenn

  • der Veränderungsgegenstand klar umrissen ist (z. B. IT-Einführung, Reorganisation);

  • schnelle Umsetzung und Ergebnisorientierung gefordert sind;

  • die kulturelle Basis stabil ist und kein tiefgreifender Wandel erforderlich ist.


Organisationsentwicklung

Sinnvoll, wenn

  • umfassende Transformation von Kultur, Struktur, Strategie und Führung notwendig ist;

  • eine lernfähige, anpassungsstarke Organisation aufgebaut werden soll;

  • tiefere kulturelle oder strukturelle Probleme bestehen;

  • langfristige Entwicklung und Gesundheitsorientierung im Vordergrund stehen.


Synergie beider Ansätze


In der Praxis ist oft eine Kombination beider Ansätze am wirksamsten:

  • Diagnosephase (OE): Systemanalyse, Kulturdiagnose, Führungs- und Lernfähigkeit.

  • Umsetzungsphase (Change Management): Planung, Kommunikation, Schulung, Adoption.

  • Verankerung (OE + Change Management): Kulturarbeit, Feedback-Schleifen, Kompetenzaufbau.


So entsteht einerseits schnelle Umsetzung und Akzeptanz, andererseits nachhaltige Lern- und Veränderungskompetenz.


Beispiel: Bei der Einführung agiler Arbeitsformen ist Change Management nötig, um Strukturen und Prozesse anzupassen, OE hingegen, um Werte wie Vertrauen, Selbstorganisation und Lernkultur zu verankern.



Schein und Burke: Implikationen für die Praxis


Von Schein lernen wir, dass Kultur der tiefste Hebel organisationaler Veränderung ist. Seine drei Ebenen (Artefakte, erklärte Werte, Grundannahmen) verdeutlichen, warum oberflächliche Interventionen selten nachhaltig sind. Zudem betont Schein die Bedeutung psychologischer Sicherheit und das Management von Lern- vs. Überlebensangst als zentrale Führungsaufgabe in Veränderungsprozessen.


Von Burke stammt das Burke-Litwin-Modell, das die Wechselwirkungen zwischen externem Umfeld, Führung, Kultur, Struktur, Systemen, Klima und individueller Leistung beschreibt. Es zeigt, dass Veränderung multidimensional ist und aufeinander abgestimmte Interventionen erfordert.


Die Integration beider Perspektiven ermöglicht eine praxisnahe, gleichzeitig tiefenpsychologisch fundierte Veränderungsstrategie - kulturell bewusst, systemisch ausgerichtet und operativ umsetzbar.



Fazit


Change Management und Organisationsentwicklung sind unterschiedliche, aber komplementäre Ansätze organisationaler Veränderung. Change Management bietet Struktur, Geschwindigkeit und Ergebnisorientierung; Organisationsentwicklung liefert Tiefe, Nachhaltigkeit und kulturelle Verankerung.


Die Wahl hängt vom Veränderungsziel, der Organisationsreife und dem Zeitrahmen ab. In komplexen Transformationen führt meist die Kombination beider Ansätze zum Erfolg: Change Management sorgt für Umsetzung, OE für nachhaltiges Lernen und Anpassungsfähigkeit.


Wie Schein und Burke betonen, bedeutet erfolgreiche Veränderung nicht nur, etwas anderes zu tun, sondern anders zu denken und zu sein. Nur wer gleichzeitig lernt und handelt, kann sich dauerhaft wandeln.



Literatur (Auswahl)


  • Schein, E. H. (1984): Coming to a New Awareness of Organizational Culture. Sloan Management Review.

  • Schein, E. H. (1999): Process Consultation Revisited: Building the Helping Relationship. Addison-Wesley.

  • Burke, W. W. (2015): Organization Development: A Process of Learning and Changing (3rd ed.). Pearson.

  • Cummings, T. G., & Worley, C. G. (2015): Organization Development and Change (9th ed.). Cengage.

  • InstituteOD (2015): How Organization Development Differs from Other Change Models.

  • StrategicManagementInsight (2025): What is the Burke–Litwin Model?

 
 
 

Comments


Kommentar? Fragen? Immer gerne!

Vielen Dank!

© 2022 by OE-REFLEKTOR

bottom of page