Organisationsentwicklung - Was ist OE? Was ist OE nicht?
- M. Franz
- Mar 30, 2022
- 7 min read
Updated: Oct 19, 2023

Das Gabler Wirtschaftslexikon (1) beschreibt Organisationsentwicklung (OE) als “Strategie des geplanten und systematischen Wandels, der durch die Beeinflussung der Organisationsstruktur, Unternehmenskultur und individuellem Verhalten zustande kommt”.
Solch eine Veränderung soll die Leistungsfähigkeit der Organisation verbessern in dem die Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende - und auch deren individuelle Chancen - positiv beeinflusst werden. In einer solchen Veränderung wird die Abhängigkeit und gegenseitige Einflussnahme zwischen einer ganzen Reihe von Faktoren berücksichtigt: Mitarbeitende, Teams, Technologie, Umwelt, Gesamtorganisation, Zeit, Werte, Power, Status, Kommunikationsverhalten, usw. Diese weitreichende Abhängigkeit bedeutet natürlich auch, dass Veränderungen in einem Bereich sofort Auswirkungen in anderen Bereichen der Organisation haben können. Da Organisationen immer in Flux sind, lässt sich somit leicht ableiten, dass sie sich ständig weiterentwickeln müssen um den veränderten Voraussetzungen gerecht zu werden - ein Fakt, der natürlich allgegenwärtig und leicht zu beobachten ist. Unklarheit und Verwirrung:
Gerade im deutschsprachigem Raum stelle ich immer wieder fest, dass der Begriff der Organisationsentwicklung ausgesprochen vielfältig interpretiert wird. Zwar gibt es natürlich von akademischer Seite eine sehr brauchbare und auch verständliche Definition (siehe oben), aber auf der Seite der Anwender - also der Unternehmen und oft auch der Unternehmensberater - fehlt sehr häufig eine klare Abgrenzung.
Hier werden Konzepte wie Veränderung oder auch Wachstum oft fälschlicherweise mit Organisationsentwicklung gleichgesetzt. Der Gedankengang ist dabei genauso einfach wie auch falsch: Eine einfache Veränderung innerhalb einer Organisation ist KEINE Organisationsentwicklung. Aus der Tendenz jegliche Veränderung als Organisationsentwicklung zu bezeichnen entsteht letztendlich eine gewisse Verwirrung die dazu führt, dass moderne und aktuelle Ansätze der Organisationsentwicklung nur schwer - oder auch gar nicht - Fuß fassen können. Wenn kein klares Verständnis darüber vorherrscht, was Organisationsentwicklung wirklich ist, dann ist diese Disziplin gleichzeitig Alles und auch Nichts! Oftmals wird einfach angenommen, das jegliche bewusste Weiterentwicklung eines Unternehmens eine Organisationsentwicklung darstellt. Die Einstellung eines neuen Mitarbeitenden der einen Gabelstapler bedient und somit Kapazität erhöht und auf diese Weise direkt am Wachstum und an der Weiterentwicklung eines Unternehmens teilhat, stellt jedoch keine Organisationsentwicklung in Sinne einer akademischen und angewandten Disziplin da. Trotzdem wird dies leider sehr häufig genau so wahrgenommen, verstanden und auch genannt. Das Wachstum einer Organisation ist sicherlich auch eine Form der Entwicklung, aber dennoch gibt es dabei einen wichtigen Unterschied zu den fundamentalen Kulturveränderungen die OE anstößt.
Wachstum ≠ Organisationsentwicklung! Dieser Unterschied zwischen Entwicklung im Sinne der Organisationsentwicklung und Wachstum ist wichtig und eigentlich auch ganz einleuchtend: Der Komposthaufen in meinem Garten wächst, zum Beispiel, von Jahr zu Jahr weiter - er wird immer größer. Leider entwickelt er sich aber nicht zu einer Quelle von nährstoffreicher Erde, wie ich es mir eigentlich erhofft habe. Damit sich mein Komposthaufen zu dem entwickeln kann, was ich mir erhoffe gehört eben mehr als nur Wachstum: Es bedarf einer Kultivierung von verschiedenen Eigenschaften damit dies geschieht. Im Inneren meines Komposthaufen muss sich fundamental etwas ändern! Ein Unternehmen, ein Mensch, oder ein Land, können ebenfalls wachsen - aber sich nicht entwickeln. Ein Land, z.B., kann an Gebiet gewinnen - also wachsen - und trotzdem entwickelt sich das Leben der Bewohner nicht zum Besseren. Wachstum ist ein Maß der Größe (was natürlich auch Kapital mit einbezieht); Entwicklung hingegen ist ein Maß der Kapazität und des Potentials.(2) Das Gleiche gilt auch bei einfachen Veränderung - zwar bringt es ein Unternehmen weiter, wenn ein Produktionsprozess verbessert wurde und man könnte leicht argumentieren, dass dies natürlich auch eine gewisse Entwicklung des Unternehmens darstellt, aber mit Organisationsentwicklung im Sinne einer angewandten Disziplin hat dies nicht viel gemeinsam. Statt solch verwirrender Vermischung von Konzepten hat der Begriff der Organisationsentwicklung - gerade in den USA wo diese Disziplin entwickelt wurde - eine sehr bestimmte Bedeutung die sich klar von einfachen Veränderungen und Wachstum abgrenzt. Der Begriff der Organisationsentwicklung besteht schon mindestens seit den 1960er Jahren und hat im Laufe der Jahrzehnte so einiges an turbulenten Veränderungen durchgemacht. Solche Veränderungen in der Vergangenheit - man könnte den Vorgang auch als Evolution bezeichnen - bedeuten zugleich auch, dass die oben genannte Definition unter Umständen irgendwann veraltet sein wird. Denn schliesslich entwickelt sich das Konzept der Organisationsentwicklung unweigerlich auch weiter. Mit anderen Worten, solche Definition unterliegen - genau wie auch unser Verständnis von Organisationsentwicklung - entweder immer dem Potential der Veränderung oder aber sie laufen Gefahr, ausgesprochen weit ausschweifend und somit ungenau zu sein. Ich sehe solche Definitionen immer gerne als eine Basis - einen Ausgangspunkt - welcher die gesamte Disziplin bestenfalls nur grob beschreiben kann und lediglich eine Grundausrichtung darstellt. Zusätzlich erschwert wird das Formulieren einer klaren Definition dadurch, dass Organisationsentwicklung ein beständiger Prozess ist - und kein linearer, schrittweise dargestellter Vorgang in welchen nach Schritt Eins, Zwei, und Drei irgendwann der letzte Schritt implementiert wird und der Entwicklungsvorgang somit abgeschlossen ist. Die Anwendung von Organisationsmethodologie und -perspektiven alleine ist nicht ausreichend um wirklich das Konzept der Organisationsentwicklung zu umreißen. Vielmehr ist Organisationsentwicklung eine generelle Auffassung darüber, wie Arbeit verrichtet wird und was die Menschen, die diese Arbeit verrichten über ihre Effizienz und Effektivität denken, fühlen und glauben. Fragen bezüglich Autorität und Intimität spielen hierbei unweigerlich eine sehr große Rolle, da Gemeinsamkeit in diesen Bereichen den Schlüssel zu lebbaren Arbeitsbeziehungen darstellt. (3)
OE Methodologie: Die allgemeine OE Methodologie ist “Action Research”(4) - das heisst, Daten bezüglich eines Problems werden gesammelt und analysiert um einen potentiellen Lösungsansatz zu identifizieren. Organisationsentwickler erforschen die bestehende Kultur einer Klienten-Organisation durch Interaktion mit dem System und entwickeln aus den gewonnenen Erkenntnissen gemeinsam mit dem Klienten einen Lösungsansatz. Zuerst diagnostizieren Organisationsentwickler also ein gegebenes Problem - zum Beispiel, in dem wir Mitarbeiter, Teams, Gruppen, usw. interviewen oder Fragebögen an diese Menschen aushändigen, um danach die gesammelten Daten zusammenzufassen und zu analysieren.
Die Aufgabe des Organisationsentwicklers ist es hierbei, die impliziten Verhaltensmuster die einer Veränderung im Wege stehen - oder sie auch positiv beeinflussen - an die Oberfläche zu bringen damit sie von anderen ebenfalls wahrgenommen werden können. Wer nicht weiss, dass vielleicht etwas nicht ideal verläuft hat in der Regel auch nicht das Bedürfnis etwas zu verändern.
Die Verwendung von quantifizierten Daten hilft dabei - gerade in Wirtschaftsunternehmen deren Existenz sowieso schon auf “harten” Daten basiert und welche daher auch entsprechend handeln - die Diagnose faktisch zu untermauern. Die Aussage “73% der Belegschaft sieht ein Problem in X” hat mehr Aussagekraft als “Ein großer Teil der Belegschaft sieht ein Problem in X”. Diese Information dienen dann dazu, den Menschen, Teams und Gruppen die als Quelle für die Daten gedient haben, Feedback darüber zu geben, wie die Organisation - als Gesamtheit - bestehende Probleme innerhalb der Organisation wahrnimmt. Die mit einbezogenen Mitarbeitenden, Teams oder Gruppen erlangen auf diese Weise ein Bewusstsein über die Verhaltensmuster - und ihre eigene Konformität mit diesen Mustern - die es ihnen ermöglicht, direkten Einfluss darauf zu nehmen. Dieses Feedback führt in der Regel zu einer Diskussion der gesammelten Informationen und was sie bedeuten - mit dem Resultat, dass unweigerlich die ersten Schritte geplant werden, um die Situation zu verbessern. Mit diesen Plänen beginnt dann auch schon sofort die Implementierung der geplanten Schritte. Diese Schritte sind natürlich abhängig von der identifizierten Problematik, den gesammelten Daten, den Möglichkeiten der Organisation, usw. Auch hierbei gibt es keinerlei feste Vorgaben die unweigerlich und immer zu einer Lösung des Problems führen. Die Aufgabe eines Organisationsentwicklers ist es, den Mitarbeitenden, Teams, Gruppen, usw. dabei zu helfen, sich selbst zu helfen. Um es etwas spezifischer auszudrücken: Ein Organisationsentwickler befasst sich mit Veränderungen, die die Bedürfnisse von Mitarbeitenden mit den bestehenden Unternehmenszielen vereint. Solch eine Veränderungen verbessert die Unternehmenseffizienz durch verbesserte Ressourcen-Nutzung (besonders der Human Resources) und bezieht Mitarbeitende die direkt von einer Veränderung betroffen sind in Entscheidungen mit ein. Drei Kriterien der OE: Das heisst also, damit ein Vorgang wirklich als Organisationsentwicklung gelten kann, bedarf es drei verschiedener Bedingungen. Wie Burke (5) erklärt, muss die angestrebte Veränderung:
1.) In Bezug zu einem realen oder zumindest vom Klienten wahrgenommenen Veränderungsbedarf stehen. 2.) Den Klienten in die Planung und Implementation der Veränderung mit einbeziehen.
3.) Zu einer fundamentalen Veränderung in der Unternehmenskultur führen. Punkt 3 ist dabei letztendlich ausschlaggebend. Damit wir wirklich von Organisationsentwicklung sprechen können muss die Unternehmenskultur eine signifikante Weiterentwicklung erfahren so das ein Teil dieser Kultur vollkommen anders ist als zuvor. Ist dies nicht der Fall, so haben wir lediglich etwas verbessert, ein kleines Problem gelöst, oder eine bestimmte Prozedur geändert - alles Faktoren, die zum Wachstum beitragen aber nicht
zur Entwicklung der Organisation.
Es ist wichtig, diesen Punkt zu wiederholen: Um von Organisationsentwicklung sprechen zu können muss innerhalb der Organisation wirklich eine Entwicklung stattfinden - nicht nur eine einfache Veränderung.
Organisationsentwicklung ist also ein geplanter Veränderungsvorgang innerhalb einer Organisationskultur welcher Technologien, Forschung und Theorien der Verhaltensforschung nutzt. Solch ein geplanter Vorgang ist ganz klar abzugrenzen von natürlichen Veränderungen der Organisationskultur welche durch Vorkommnisse wie Skandale, Übernahmen, Fusionen, usw. zustande kommen.
Interaktion - Intervention!
Wichtig hierbei ist auch, dass ein Organisationsentwickler sich bewusst ist, dass jegliche Interaktion mit dem Klienten auch gleichzeitig eine Intervention darstellt. Als Organisationsentwickler ist es nicht möglich, sich in eine Klienten-Organisation zu begeben ohne nicht zugleich auch schon etwas zu ändern. Die Anwesenheit reicht hierbei meist schon aus. Vor vielen Jahren wurde ich von einem Kosmetikhersteller in den USA um Rat gebeten um der Firma bei Problemen mit dem Kommunikationsfluss innerhalb der Firma zu helfen. Nach einer sehr langen und ausgesprochen detaillierten Verhandlungsphase die ausserhalb der Firma stattgefunden hatte, kam irgendwann der Zeitpunkt, an dem ich eine Reihe von Interviews mit Angestellten und Arbeitern aus mehreren Firmenbereichen durchführen wollte. Der CEO hatte im Vorfeld mit zwei Mitarbeitenden besprochen, für diesen Tag einen Büroraum entsprechend vorzubereiten damit die Interviews ungestört durchgeführt werden konnten. Obwohl ich mit dem CEO besprochen hatte, dass ich auf keinen Fall als Psychologe vorgestellt werden möchte, war es offensichtlich, dass genau diese Information in der Firma schon vor meiner Ankunft die Runde gemacht hatte. Der Raum, den die zwei Mitarbeitenden für mich vorbereitet hatten, hatte ein Sofa, einen sehr großen Sessel, eine Lampe, die über das Sofa ragte, einen großen Teppich und einen Gummibaum. Man hätte nur noch eine Zigarre hinzufügen müssen und Sigmund Freud wäre wohl leibhaftig im Raum erschienen… Entsprechend des mentalen Bildes welches die Firma kreiert hatte, waren die ersten Interviews dann auch von Angst und Bedenken seitens der Interviewpartner geprägt. Man hatte Angst, welche psychoanalytischen Techniken ich anwenden würde um die Interviewpartner zu analysieren - und welche dieser intimen Informationen ich dann an den Chef weitergeben würde. Nur meine Anwesenheit in der Firma war bereits eine Intervention die nicht nur das Verhalten der Belegschaft änderte, sondern auch deren Gedanken bezüglich ihrer Arbeit, dem Verhältnis zu anderen Mitarbeitenden und dem Chef beeinflussten! Jeder Organisationsentwickler sollte sich dieses Faktors bewusst sein und sich genau überlegen, ob eine direkte Interaktion vielleicht zu einer negativen Entwicklung innerhalb des Klienten führen könnte!
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Fassen wir zusammen:
Organisationsentwicklung ist ein geplanter Vorgang der mehr als nur eine einfache Veränderung innerhalb eines Unternehmens bewirkt.
Damit wir von Organisationsentwicklung sprechen können, muss die geplante Veränderung in Bezug zu einem realen oder wahrgenommenen Problem stehen.
Organisationsentwicklung zielt darauf ab, einem Klienten dabei zu helfen, sich selbst zu helfen. Dies bedeutet, dass der Klient in die Planung und Implementierung der Veränderung mit einbezogen wird.
Die geplante Veränderung wirkt sich immer auf die Organisationskultur aus. Ist dies nicht der Fall, dann hat keine Organisationsentwicklung im Sinne der Definition stattgefunden.
Jede Interaktion zwischen Organisationsentwickler und Klient stellt bereits eine Intervention da, die etwas beim Klienten ändert.
_____________ Bibliographie: (1) Gabler Wirtschaftslexikon. 2018. Springer Gabler. (2) Ackoff, R. L.. 1981. Creating the Corporate Future, New York: Wiley. (3) Schein, E. H. 2018. Organisationskultur und Leadership. München: Verlag Franz Vahlen. (4) Burke, W. W. 1994. Organization development: a process of learning and changing. Addison- Wesley.
(5) Ibid.

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